Aber es geht hier um mehr. Die Theorie des Tantra-Sexes handelt, wenn man so will, von Glauben und Energie und konnte in dieser Form nur in Asien entstehen. Die Demut und noch wichtiger die Geduld sind Tugenden, über die ein Mensch der östlichen Welt aufgrund seiner anderen Sozialisierung eher verfügt als ein von der westlichen Welt geprägter Mensch. Der Rhythmus des täglichen Lebens (der aus westlicher Sicht ein ruhigerer ist), der Glaube an Tradition und die Lebensauffassung befähigen den Mensch zu einer harmonischen und duldenden Auffassung des Lebens. Und warum sollte das nicht auch beim Sex so sein? Obendrein – und hierin liegt vielleicht auch der Erfolg der tantrischen Lebensauffassung in der westlichen Welt – ist beim Tantra-Sex der Sex eher Mittel als Zweck. Deshalb gibt es auch keine pornographischen Filme zu diesem Thema.
Anders gesprochen ist das Liebesspiel und die Verzögerung des Orgasmus nur ein kleiner Teil der Tantra-Philosophie. Das Wesentlichste liegt in der psychischen (und natürlich auch körperlichen) Vereinigung mit dem Partner und damit indirekt mit der Natur und dem Universum. Die gemeinsam verbrachte Zeit und das Zusammenführen der Energien und das Erreichen einer gemeinsamen Erlebnisstufe sind Höhepunkte, von denen die meisten Menschen nur träumen können. Solche Erlebnisse sind auch aus der Filmwelt bekannt (z. B. aus Samsara, zu dessen Verständnis man die Psyche und die Denkweise des mit der Natur im Einklang lebenden Menschen kennen muss). Dabei ist die Entdeckung all dieser Dinge kein irreales Ziel: als Erstes sollten wir uns mit der Fachliteratur vertraut machen und diese Kenntnisse baldmöglichst in die Praxis umsetzen. Hierfür benötigen wir selbstverständlich einen entsprechenden Partner. Partner, die schon lange zusammenleben, haben selbstverständlich einen großen Vorteil. Einerseits bringt es frischen Wind in das Schlafzimmer und das Leben, andererseits kennen die Partner im Idealfall schon die Gedanken des anderen, sodass es leichter ist, die Energien in Einklang zu bringen.
Der Rest ist der Höhepunkt selbst – den man jetzt ohne Provence und Wein erreicht.